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Angehörige hoffen auf neuen Geiseldeal – DW – 09.01.2025


Daniel Lifschitz fährt sich immer wieder mit den Händen durch die kurzen schwarzen Haare. Dabei gibt er sich Mühe ruhig zu bleiben, nicht zu aufgeregt zu wirken, dass es diesmal klappen könnte mit einem Geiseldeal. “Es fühlt sich jedes Mal an wie auf einer Achterbahn. Aber diesmal habe ich das Gefühl, etwas ist anders”, sagt er.

Medienberichten zufolge hat die Hamas eine Liste mit 34 Namen israelischer Geiseln abgesegnet, die sie in einem Waffenstillstands-Deal mit der israelischen Regierung freilassen könnte. Die Liste, die zunächst vom saudischen TV-Sender Asharq veröffentlich wurde, machte in israelischen Medien schnell die Runde.

Daniel Lifschitz
Daniel Lifschitzs 84-jähriger Großvater befindet sich noch immer in Händen der HamasBild: Sarah Hofmann/DW

Auf ihr stehen unter anderem die Namen von Daniel Lifschitz‘ 84-jährigem Großvater Oded und von der 29-jährigen Arbel Yehoud. Ihr Porträt – in die Kamera strahlend, in weißem Kleid und mit weißem Haarband – ist auf das Oberteil gedruckt, das Daniel Lifschitz an diesem Tag in Tel Aviv trägt. Er kennt sie von klein auf, Arbel Yehoud ist die jüngere Schwester seines besten Freundes Dolev, der am 7. Oktober im Kibbutz Nir Oz getötet wurde, als Terroristen der Hamas und anderer militant-islamistischer Organisationen Israel überfielen. Rund 1200 Menschen wurden an dem Tag in Israel getötet, 251 als Geiseln nach Gaza verschleppt. 

Der erste “Geiseldeal” liegt über ein Jahr zurück 

Eine der ersten, die bereits nach 17 Tagen Geiselhaft nach Israel zurückkehren konnten, war Daniel Lifschitz’ Großmutter Yocheved. Die Bilder der 85-Jährigen neben schwer bewaffneten, vermummten Hamas-Kämpfern gingen um die Welt. “Sie wartet seitdem darauf, dass auch alle anderen freikommen.” Es folgte ein Geiseldeal im November 2023, bei dem 105 israelische Geiseln von der Hamas im Austausch für palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen  freigelassen wurden. Doch seither hat es keinen weiteren Deal mehr gegeben.  

Israel, Tel Aviv | Entführte Yocheved Lifshitz im Krankenhaus nach ihrer Freilassung
Die 85-jährige Yocheved Lifschitz kurz nach ihrer Freilassung im Oktober 2023Bild: Jenny Yerushalmy/Ichilov hospital/AP/picture alliance

Aktuell sind 100 Geiseln in Gaza. 29 von ihnen wurden aus Nir Oz entführt, der Gemeinde, in der auch Daniel Lifschitz aufwuchs. 

Wie viele von ihnen überhaupt noch leben, ist unklar. Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten Geiseln von der israelischen Armee tot im Gazastreifen aufgefunden. Am Mittwoch (8.1.2025) gab die israelische Armee bekannt, zwei weitere Leichen geborgen zu haben. Einer der beiden, Youssef Alziadna, stand auf der Liste, über die aktuell verhandelt wird. 

 “Wenn wir jetzt keinen Deal schaffen, wird es auch für die anderen zu spät sein”, sagte Lifschitz bereits bevor die Nachricht der zwei tot aufgefundenen Geiseln publik wurde. 

“Israel weigert sich, den Krieg zu beenden” 

“Die Hamas will seit Monaten ein Abkommen”, sagt Gershon Baskin. Der Friedensaktivist sagt von sich selbst, er sei der einzige Israeli, der seit vielen Jahren direkten Kontakt zu Hamas-Mitgliedern habe. 2011 war er es, der maßgeblich dafür sorgte, dass der israelische Soldat Gilad Schalit nach über fünf Jahren Geiselhaft in Gaza freigelassen wurde  – im Austausch für mehr als 1000 palästinensische Häftlinge. Unter ihnen war auch Yahia Sinwar, der spätere Chef der Hamas im Gazastreifen, der den Angriff vom 7. Oktober maßgeblich geplant haben soll. 

Gilad Schalit Freilassung Flash-Galerie
2011 kehrte der israelische Soldat Gilad Schalit nach über fünf Jahren Geiselhaft in Gaza nach Israel zurückBild: dapd

“Die Hamas will ein umfassendes Abkommen, das den Krieg beendet, alle Geiseln zurückbringt und palästinensische Häftlinge freibekommt”, so Baskin. “Aber Israel hat sich bislang geweigert, den Krieg zu beenden.” Und doch, meint auch Baskin, könnte sich gerade etwas entscheidend verändern. Denn am 20. Januar wird Donald Trump ins Weiße Haus in Washington, D.C. einziehen. “Netanjahu möchte Trump für seinen ersten Tag im Amt ein Geschenk machen – das ist der Grund, warum es gerade Bewegung gibt.” 

Die derzeit kursierende Liste sieht Baskin hingegen skeptisch. Deren Namen stammen von einer Aufstellung, die ursprünglich im Sommer 2024 von den Israelis übermittelt wurde. Die Hamas – so sein Informationsstand – wisse selbst nur noch von 20 Geiseln, wo sie sich aktuell befänden. “Sie braucht einen Waffenstillstand mit Garantien für freie Bewegung, um den Verbleib der anderen Geiseln erst herauszufinden.” 

Vater hofft weiter auf Freilassung israelischer Geiseln

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Seit Israel Yahia Sinwar gezielt tötete, gebe es keinen starken Entscheidungsträger mehr bei der Hamas, so Baskin. Das mache es schwerer, Druck auf die Organisation auszuüben, die von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft ist. 

“Deal-Maker” Trump noch vor Amtsantritt? 

Baskin habe versucht, seinen Hamas-Kontakten deutlich zu machen, dass es wegen Trump gerade ein Momentum gebe, einen umfassenden Deal durchzudrücken. “Wenn die Hamas publik machen würde, dass sie bereit wäre, alle Geiseln freizulassen unter der Bedingung, dass Israel seine Truppen aus Gaza abzieht, wäre der öffentliche Druck in Israel so groß, dass Netanjahu nachgeben müsste.”

Israel, Tel Aviv | Trump Gratulation auf einer Plakatwand
In Israel wurde Donald Trumps Wahlsieg am 6. November 2024 sehr wohlwollend aufgenommenBild: Thomas Peter/REUTERS

Auch wenn Familienangehörige der Geiseln teils von rechten Hardlinern angegriffen werden, sie würden einen militärischen Sieg Israels verhindern. Israelischen Umfragen zufolge unterstützen mehr als 80 Prozent der Israelis einen Deal, bei dem die Geiseln für palästinensische Häftlinge freigelassen werden. Tel Aviv und Jerusalem sind voller Plakate, Wandbilder und Sticker mit Porträts der Verschleppten. 

Zu ihnen zählt auch der Soldat Nimrod Cohen. Er wurde am 7. Oktober von der israelischen Militärbasis Nahal Oz nahe der Grenze zum Gazastreifen entführt. “Wir wissen, dass Nimrod als einer der letzten freigelassen wird”, so sein Bruder Yotam. Nimrods Name steht nicht auf der aktuellen Liste. “Sie alle können jeden Moment sterben, es gibt absolut keine Rechtfertigung, einige freizulassen und andere nicht,” sagt er.  

Israel Geiseln Yotam Cohen
Yotam Cohen trägt ein T-Shirt mit dem Portrait seines verschleppten Bruders NimrodBild: Sarah Hofmann/DW

Er macht vor allem Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich, dass sein Bruder und die anderen Geiseln noch immer nicht wieder zuhause sind. “Das größte Hindernis ist unsere Regierung und vor allem der Premierminister.” Es sei Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen, das die Geiseln töte, davon ist er inzwischen überzeugt. 

Gaza in Schutt und Asche

Kurz nach dem 7. Oktober kämpfte er selbst als Soldat im Gazastreifen. In einem Krieg, in dem nach Angaben der UN mehr als 45.000 Palästinenser größtenteils durch israelische Luftangriffe getötet wurden, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder. Ein Großteil des Gazastreifens liegt heute in Schutt und Asche, Krankenhäuser wurden zerstört, es herrscht Hunger. 

“Wir sehen die Bilder aus Gaza”, sagt Cohen. “Ich hasse die Menschen in Gaza nicht. Ich glaube, die Menschen in Gaza wollen, dass dieser Krieg endlich endet und ich weiß, dass die Menschen in Israel das auch wollen. Es gibt keine Rechtfertigung mehr für uns, in Gaza zu sein.” 

Gazastreifen Beit Lahia | Zerstörung nach israelischer Luftangriffe
Weite Teile des Gazastreifens sind nach 15 Monaten Krieg völlig zerstörtBild: Khalil Ramzi Alkahlut/Anadolu/picture alliance

Die Hamas, so Cohen, sei militärisch weitgehend besiegt. “Soldaten sterben in Gaza, die Geiseln leiden.” Umso länger die israelische Armee in Gaza bleibe, umso mehr Menschen könne die Hamas in Gaza für ihre Sache rekrutieren. Heute, so Cohen, würde er nicht mehr als Soldat nach Gaza gehen. Das sei kein Aufruf, den Militärdienst zu verweigern, stellt er klar, sondern ein Appell an seine Regierung, keine Soldaten mehr in diesen Krieg zu schicken. Sondern ihn endlich zu beenden und alle Geiseln nach Hause zu holen.

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